„Als Kind denkt man ja nicht, meine Eltern haben eine Bindungsstörung und die müssen mal eine Psychotherapie machen. Als Kind denkt und fühlt man immer, dass man selbst der Fehler ist.“ Mit dieser Aussage trifft Stefanie Stahl, Psychologin, Psychotherapeutin und Bestsellerautorin, einen Nerv. Unsere Kindheit prägt uns tief, oft tiefer, als wir im Erwachsenenalter wahrhaben wollen. Was bedeutet es, dass wir uns oft als unzulänglich empfinden, dass wir an uns zweifeln, obwohl wir längst erwachsen sind? Und wie viel davon ist das Ergebnis unserer Erziehung?
Das Schattenkind und die Prägungen der Kindheit
Im ausführlichen Gespräch erklärt Stahl, wie diese frühen Prägungen unsere Identität formen und uns ein Leben lang begleiten können. Sie spricht über die Bedeutung, diese Muster zu erkennen und zu verstehen – nicht um in der Vergangenheit stecken zu bleiben, sondern um die Kontrolle über das eigene Leben zurückzugewinnen.
Stahls Konzept des „Schattenkindes“ verdeutlicht, wie diese alten, negativen Glaubenssätze tief in unserem Inneren verankert sind. Durch bewusste Reflexion und gezielte Übungen, wie sie in ihrem aktuellen Arbeitsbuch zu „Wer wir sind“ angeboten werden, können wir lernen, diese Anteile zu heilen und unser „Sonnenkind“ – den gesunden, selbstbewussten Teil unserer Persönlichkeit – zu stärken.
Selbstreflexion als Schlüssel zur Freiheit
Stahl ist überzeugt: Es ist nie zu spät, sich von den negativen Prägungen der Kindheit zu lösen. Doch dieser Prozess erfordert Mut, die Bereitschaft, sich mit schmerzhaften Gefühlen auseinanderzusetzen, und manchmal auch die Konfrontation mit den eigenen Eltern. „Der selbstreflektierte Mensch ist der bessere Mensch und belastet die Gesellschaft weniger als der unreflektierte“, sagt sie.
Am Ende liegen die Dinge ziemlich einfach. Wir sind nicht so wahnsinnig kompliziert aufgebaut.
Stefanie Stahl
Stahl spricht darüber, wie wichtig es ist, die eigene psychische Architektur zu verstehen und wie wir dadurch zu mehr Empathie und Selbstbewusstsein finden können. Sie ermutigt dazu, die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und alte, destruktive Muster hinter sich zu lassen.
Wer ist hier der Fehler?
Am Ende geht es, so Stahl, immer um die eine zentrale Frage: „Wer ist hier der Fehler?“ Ihre Antwort ist klar: Nicht das Kind, sondern die Umstände, die es geprägt haben. Indem wir uns dieser Erkenntnis stellen, können wir uns selbst befreien – und vielleicht ein Stück weit auch die Welt um uns herum.
Fotoquelle: Susanne Wysocki