Paula Bosch über Weinkultur, Genuß und Haltung

Folge abspielen
Paula Bosch

Der Wein spricht. Er tut es leise, aber eindringlich. Er offenbart seine Herkunft, seine Geschichte, seinen Jahrgang. Doch hören kann ihn nur, wer zuhören gelernt hat. Die Fähigkeit, einem Glas Wein nicht nur Aromen, sondern auch Bedeutung zu entlocken, ist eine Kunst – und eine Wissenschaft zugleich. Zwischen sinnlicher Intuition und analytischer Präzision bewegt sich das Berufsfeld der Sommellerie. Ein Feld, das lange von männlicher Expertise dominiert war und dennoch von einer Frau wie Paula Bosch neu definiert wurde.

Dabei beginnt Wein nicht im Glas, sondern in der Haltung. „Ein guter Wein fordert“, sagt Bosch. „Er spricht selbst, bringt Persönlichkeit mit. Ich muss ihn nicht erklären – ich frage nur: Magst du ihn?“ Eine Haltung, die mit dem autoritären Gestus klassischer Weinverkostung bricht und den Genuss demokratisiert. Jeder Geschmack zählt. Jeder Zugang zum Wein ist legitim, solange er auf Neugier gründet.

Die Neugier als Berufung

Neugier ist das heimliche Fundament dieses Berufs. Ohne sie lässt sich die Vielfalt der Rebsorten, Terroirs und Kellertechniken nicht begreifen – und schon gar nicht vermitteln. Dass Paula Bosch diesen Beruf geprägt hat, liegt auch daran, dass sie früh begriffen hat: Sommellerie ist nicht Dienst, sondern Bildung. „Ich habe Weine getrunken, die ich nicht mochte – und dann gefragt: Warum zahlen Menschen dafür Hunderte von D-Mark?“ Lernen bedeutete für sie nicht nur das Sammeln von Fakten, sondern auch das Entwickeln einer Sprache für den Wein. Einer Sprache, die nicht bewertet, sondern beschreibt. Nicht von oben herab dozieren will, sondern begreifbar macht.

Die Weinwelt war lange männlich. Dass ich als Frau da einfach aufgetaucht bin, hat viele irritiert – und mich angespornt.

Paula Bosch

Das war revolutionär. Während in der klassischen Gastronomie häufig noch mit punktbasierten Bewertungen hantiert wurde, setzte Bosch auf Erzählung. Auf ein Sensorium, das Menschen mitnimmt – nicht belehrt. „Ich wollte nicht Punkte vergeben, sondern Bilder im Kopf erzeugen“, sagt sie. Ihre Texte über Wein – zuerst für das Magazin der Süddeutschen Zeitung, später in Buchform – galten als ungewöhnlich einfühlsam, persönlich und stilistisch eigenständig. Vielleicht auch deshalb, weil sie nie Journalistin sein wollte. Sondern Gastgeberin.

Wein ist Begegnung

Denn in Wahrheit ist Wein nicht nur Produkt oder Stilfrage. Er ist ein Medium für Beziehung – zwischen Mensch und Mensch, zwischen Küche und Keller, zwischen Kultur und Geschichte. „Ein Sommelier ist kein Flaschenöffner“, sagt Bosch, „sondern ein Vermittler.“ Vermittler zwischen Winzern und Gästen, zwischen Geschmack und Erinnerung, zwischen Herkunft und Zukunft.

Und manchmal eben auch zwischen Geschlechtern. Als Bosch in den 1980er Jahren ihre Karriere begann, war sie die erste Frau in Deutschland in diesem Berufsfeld – und wurde nicht überall mit offenen Armen empfangen. Ein bekannter Branchenvertreter lehnte sie damals brüsk mit dem Hinweis ab, Sommellerie sei nichts für Frauen. „Das hat mich nur angestachelt, weiterzumachen“, sagt sie heute. Dass ihre Haltung sie nicht nur geprägt, sondern auch Türen geöffnet hat, zeigt ihre jahrzehntelange Zusammenarbeit mit Spitzenköchen wie Hans Haas im Tantris. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe, in der Weine und Menüs gemeinsam komponiert wurden – für einen Gast, der mehr wollte als nur satt zu werden.

„Der Wein braucht Partner auf dem Teller“, sagt Bosch, „keine Gegenspieler.“ Und er braucht Zeit – Zeit, sich zu entwickeln, verstanden zu werden, vielleicht sogar zu überraschen. Diese Haltung hat sie in vielen Facetten der Gastronomie etabliert: etwa mit der Einführung glasweiser Weinbegleitungen auf Spitzenniveau – ein Konzept, das heute selbstverständlich scheint, aber in den 1990er Jahren ein Tabubruch war.

Zwischen Gestern und Morgen

Heute, im Zeitalter von Wein-Apps und KI-generierten Geschmacksempfehlungen, hat sich das Berufsbild verändert. Der Zugang zu Wissen ist einfacher geworden, aber die Tiefe der Erfahrung nicht automatisch gewachsen. „Ich finde es großartig, dass man heute per App mehr über eine Flasche erfahren kann. Aber ich wünsche mir, dass man trotzdem noch zuhört – dem Wein, aber auch dem Menschen, der ihn erklärt“, sagt Bosch. Und man glaubt ihr sofort, dass sie das ernst meint.

Denn für sie ist Gastfreundschaft keine Geste, sondern eine Haltung. Wer den Beruf des Sommeliers ernst nimmt, so sagt sie, brauche psychologisches Gespür – und die Fähigkeit, auch einmal zurückzutreten. „Ich erzähle niemandem, was er zu trinken hat. Ich frage: Was mögen Sie? Und dann begleite ich.“

Hosted by
Daniel Fürg

Daniel Fürg ist so etwas wie der Barkeeper bei Gin And Talk. Er steht hinter dem Bartresen und führt die Gespräche mit den Gästen.

Diskutiere mit uns!

Hier gibt es noch mehr zu hören:

Episode 148