Was in den Kochtöpfen brodelt, ist selten nur kulinarisch. In der Gastronomie, einem der letzten Bastionen patriarchaler Arbeitskultur, verändert sich etwas – langsam, aber spürbar. Junge Köchinnen wie Clara Hunger stehen dabei an der Frontlinie. Sie kochen nicht nur, sie fordern heraus: über Geschmack, Haltung, Sichtbarkeit.
Clara Hunger weiß, wie Spinat zusammenfällt, wenn er kocht. Ihre früheste Erinnerung ist ein butterglänzendes Ei in der Pfanne ihrer Großmutter – eine Szene von Wärme, Neugier und dem unstillbaren Wunsch, mit Lebensmitteln zu experimentieren. Heute steht sie in Hamburg hinter dem Herd des nullkommaeins, einer Pop-up-Weinbar, die sie gemeinsam mit zwei Freunden betreibt. „Säure brauche ich fast immer“, sagt sie. Und: „Ich will nicht in Landesküchen denken, sondern in Geschmäckern.“
Was wie eine technische Nuance klingt, ist eine politische Aussage. Clara Hunger verweigert sich einer kulinarischen Taxonomie, die gerne in französisch, italienisch oder fernöstlich denkt – und dabei oft den kreativen Kern verkleinert. Ihre Küche ist salzig, säurebetont, manchmal scharf. Kein Zufall, dass sich die Gerichte durch Gegensätze definieren. Auch die Branche, in der sie arbeitet, ist voller Spannungen.
Die unsichtbare Hürde
Dass Frauen in der Spitzengastronomie unterrepräsentiert sind, ist keine neue Erkenntnis. Dass sich daran nur langsam etwas ändert, ist ein strukturelles Problem. Hunger beschreibt es mit der Klarheit einer Generation, die nichts mehr beschönigt: „Ich hatte oft das Gefühl, mehr geben zu müssen, um überhaupt gesehen zu werden.“ Wer sich schminkt, wird nicht selten unterschätzt. Wer nicht mitlacht, wenn der Küchenhumor in Richtung Umkleidekabine driftet, gilt als empfindlich. Wer ein Kind will, gilt als unpraktisch.
Die Gastronomie braucht echte Vereinbarkeit mit Familie.
Clara Hunger
Die Forderung ist klar: mehr Sichtbarkeit, mehr Vorbilder, mehr Raum für andere Lebensentwürfe. „Es muss möglich sein, Kinder zu bekommen und trotzdem in der Küche zu stehen.“ Dass das nicht bloß eine individuelle Entscheidung, sondern ein gesellschaftlicher Auftrag ist – auch daran erinnert Hunger. Dass sie damit nicht allein steht, aber noch zu wenige so offen darüber sprechen, macht ihren Beitrag umso wichtiger.
Genuss als Kulturgut
Während sich viele Branchen professionalisieren, digitalisieren und flexibilisieren, verharrt das Bild der Gastronomie in alten Mustern. Dabei ist Essen längst mehr als Versorgung – es ist Kultur, Begegnung, Ausdruck. Hunger erkennt im deutschen Verhältnis zum Genuss eine tief verankerte Skepsis: „In Deutschland gehen viele essen, um satt zu werden – nicht, um zu genießen.“ Die Qualität der Lebensmittel, die Wertschätzung für Handwerk, die Bereitschaft, für Geschmack zu zahlen – all das sei in Ländern wie Frankreich oder Italien selbstverständlich. In Deutschland müsse erst noch ein Bewusstsein dafür wachsen, dass ein gutes Gericht nicht nur seinen Preis hat, sondern auch seinen Wert.
Sie plädiert für politische Verantwortung: „Macron geht in Frankreich in Sternerestaurants essen. In Deutschland geht die Politik zu McDonald’s.“ Es sei ein Symbol für eine gesellschaftliche Fehlhaltung, die Gastronomie klein hält, obwohl sie ein Motor des Miteinanders ist. Gerade die jüngste Debatte über die Mehrwertsteuer hat vielen Betrieben die Luft abgeschnürt. Hunger sagt das nüchtern, aber bestimmt: „Die Politik sollte mehr für die Menschen tun, die in dieser Branche arbeiten.“
Raum für Geschmack – und für Haltung
Mit dem nullkommaeins haben Clara Hunger und ihre Mitstreiter einen Ort geschaffen, der all das anders macht: eine ungezwungene Atmosphäre, eine große Weinkarte, kleine Gerichte, die überraschen – etwa eine Sülze im Dumpling-Mantel, inspiriert von der Küche ihrer Großmutter. Es ist nicht laut dort, aber konsequent. Nicht gefällig, aber einladend. „Wir machen, worauf wir Lust haben“, sagt Hunger. Und: „Wir wollen sehen, ob es funktioniert.“
Dass es funktioniert, ist längst klar. Die Resonanz in Hamburg ist groß, die Idee trägt, das Team denkt bereits über einen dauerhaften Standort nach. Dazwischen: eine Reise, neue Inspiration, neue Gerichte. Klar ist auch: Hunger wird weiterkochen. Und weitersprechen – über Geschmack, Verantwortung, Sichtbarkeit.