Dr. Marianne Koch kennt das Rampenlicht – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. In den 1950er- und 60er-Jahren war sie einer der großen Stars des deutschen Kinos. Sie spielte an der Seite von O. W. Fischer, Gert Fröbe und Heinz Rühmann, drehte in Hollywood und wurde von Sergio Leone für den Westernklassiker „Für eine Handvoll Dollar“ engagiert – gemeinsam mit einem damals noch unbekannten Clint Eastwood. Das Filmgeschäft hätte ihre Lebenswelt bleiben können. Stattdessen kehrte sie dorthin zurück, wo sie schon mit 17 Jahren begonnen hatte: in die Hörsäle der Medizin.
„Ich wusste immer, dass ich zur Medizin zurückkehren würde“, sagt sie. Dass sie als Schauspielerin erfolgreich war – sie erhielt sogar den Bundesfilmpreis – schien ihr dabei eher ein Umweg mit Mehrwert. Vielleicht half ihr das Reisen zu Außendrehs in Bangkok, Südafrika und Brasilien, ein Gespür für das Leben in seinen vielen Formen zu entwickeln. „Ich galt als tropenfest“, erzählt sie lachend – und meint damit: furchtlos, neugierig, offen für das Fremde.
Als sie später, nach bestandenem Staatsexamen, ihre eigene Arztpraxis eröffnete, kamen manche Patient:innen wohl zunächst aus Neugier. Doch wer sie erlebte, merkte schnell: Diese Frau meint es ernst. Sie wusste um die Kraft des Zuhörens – und um die Verantwortung, die daraus erwächst. „Ich war sicher keine überragende, aber doch eine kompetente Ärztin“, sagt sie. Ihre Stimme bleibt dabei bescheiden. Doch ihre Haltung ist klar.
Lernen, um lebendig zu bleiben
Was Koch ausmacht, ist weniger ihre Prominenz als ihre Disziplin. Lebenslanges Lernen sei kein Luxus, sondern Notwendigkeit – gerade im Alter. „Man sollte sich möglichst früh für die Welt interessieren“, sagt sie. Aber auch: Es sei nie zu spät. Selbst wer mit 80 beginne, neue Themen zu entdecken, tue seinem Gehirn etwas Gutes.
Koch selbst hat es vorgemacht. Als die Kassenärztliche Vereinigung sie mit 68 zum Aufhören zwang – eine Altersgrenze, die heute fast anachronistisch wirkt –, fiel sie zunächst in ein Loch. Dann begann sie populärmedizinische Bücher zu schreiben, übernahm eine Radiosendung, das „Gesundheitsgespräch“ im Bayerischen Rundfunk, das sie bis heute moderiert. Jede Woche bereitet sie ein neues Thema auf – von der Schlaganfallprävention bis zur Psychosomatik. „Ich muss mich auch da ständig fortbilden“, sagt sie. Für sie kein Müssen, sondern ein Dürfen. Ein Thema, das sie auch in ihrem aktuellen Buch „Mit Verstand altern“ thematisiert.
Geist, Körper, Haltung
Wer Dr. Marianne Koch zuhört, vergisst schnell das Wort „älter“. Es wirkt zu schablonenhaft für eine Frau, die noch immer mit Verstand und Wärme über das redet, was wirklich zählt: Bewegung, gute Ernährung, Neugier, Gemeinschaft. Kein missionarischer Ton, keine Diätvorschriften. Aber Klarheit. „Bewegung ist unglaublich wichtig – und zwar regelmäßig“, sagt sie. Mindestens 30 Minuten am Tag. „Und wenn man lange sitzt: aufstehen, herumlaufen.“ Sie erklärt, wie Knorpel im Gelenk nur durch Bewegung ernährt werden – bildhaft, verständlich, mit ärztlichem Ernst, ohne Überheblichkeit.
Zugleich warnt sie vor Irrwegen: Nahrungsergänzungsmittel brächten kaum etwas, wenn kein echter Mangel vorliege. Und vegan sei zwar ein verständlicher Impuls – aber mit Vorsicht zu genießen. „Eine Ernährung, die dauerhaft Supplemente braucht, ist keine gute Ernährung.“ Ihr Appell ist ein realistischer: Weniger industriell, mehr lokal. Weniger Verbote, mehr Wissen.
Die Seele hinkt hinterher
Doch selbst wenn der Körper mitmacht: Die Seele ist oft das empfindlichere Organ. Dr. Marianne Koch beobachtet mit Sorge, wie psychische Erkrankungen zunehmen. Depressionen, Angststörungen, soziale Unsicherheiten – sie sieht darin nicht nur ein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Phänomen.
Was sie besonders beunruhigt: die Lücke im System. Wer psychologische Hilfe sucht, warte oft Wochen oder Monate. „Es ist eine Tragödie, dass es uns körperlich immer besser geht, aber seelisch deutlich schlechter.“ Sie fordert mehr Therapieplätze, mehr Ausbildung, mehr Entstigmatisierung. Und mehr Menschlichkeit – gerade in der Medizin. „Ein empathischer Arzt lässt sich nicht durch KI ersetzen.“
Keine Angst vor der Endlichkeit
Vielleicht ist es das, was Dr. Marianne Koch so besonders macht: die Fähigkeit, über das Leben zu sprechen, ohne den Tod auszuklammern. „Ich hoffe, ich sterbe gesund und gelassen“, sagt sie. Und lacht. Ein Satz, der aus einem Stoßgebet klingen könnte – und bei ihr einfach nach Klarheit. Dass sie Palliativmedizin für einen der größten medizinischen Fortschritte hält, überrascht nicht. Sie glaubt an die Möglichkeit eines sanften Sterbens. Und sie glaubt an den Mut, sich der Endlichkeit zu stellen.
Ihr wichtigster Ratschlag für Jüngere? „Sich trauen. Auch, wenn man nicht sicher ist, wie es ausgeht.“ Das könnte als Lebensmotto über allem stehen, was sie getan hat: vom Filmset ins Krankenhaus, vom Hörsaal in die Radioanstalt, von der Praxis in die Schreibstube.
Fotoquelle: Acorn, 2023