Tom Hillenbrand über Technologie, Unsterblichkeit und Menschenwürde

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Tom Hillenbrand

Man stelle sich vor: Der Mensch wird kopierbar. Nicht nur als fotografisches Abbild oder als digitales Ich auf sozialen Plattformen, sondern als vollständiges Wesen – Denken, Fühlen, Erinnern inklusive. Im Jahr 2095, so stellt es sich der Schriftsteller Tom Hillenbrand in seinem Roman „Thanatopia“ vor, sind digitale Gehirnkopien und neue Körperhüllen technisch möglich. Der Tod ist dadurch nicht besiegt, aber zumindest ausgesetzt, verschoben, vielleicht sogar trivialisiert. Was bleibt dann noch von der Menschenwürde, wenn das Ich vervielfältigt, zurückgespult, neu gestartet werden kann?

Was sich wie ferne Science-Fiction liest, ist in Wahrheit längst Teil eines globalen Diskurses – oder müsste es sein. Denn schon heute stellt sich die Frage, was das Recht auf Selbstbestimmung in einer Welt bedeutet, in der Konzerne und Plattformen unsere digitale Identität kontrollieren. „Bau mir den Daniel aus allem, was er in den letzten 20 Jahren gepostet hat – und er kann nichts dagegen tun“, beschreibt Hillenbrand die Macht, die sich über Jahrzehnte aufgetürmt hat. Die Menschenwürde, einst als Schutz vor Eingriffen von außen gedacht, gerät an ihre unsichtbaren Grenzen, wo Algorithmen präziser wissen, was wir wollen – oder fürchten – als wir selbst.

Zwischen Gott und Serverausfall

Mit der wachsenden Macht künstlicher Intelligenz und dem nahenden Durchbruch des Quantencomputings rückt die Frage nach Kontrolle in den Mittelpunkt. Nicht nur Kontrolle über Daten, sondern über Existenz selbst. Was, wenn unser Denken simuliert, unsere Persönlichkeit gespeichert wird – und der Anbieter eines solchen Speichers einen schlechten Tag hat?

Wir stellen Regeln auf, um Technik zu begrenzen – aber irgendwer wird sie trotzdem brechen. So sind wir Menschen.

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„Dann bin ich ja, for all intents and purposes, Gott“, sagt Hillenbrand über die Idee, eine ganze Welt granular zu simulieren. Eine solche Technologie würde den Menschen nicht nur technisch reproduzierbar machen, sie würde das Konzept von Individualität selbst zur Disposition stellen. Und mit ihm die Idee von Verantwortung: Ist der Mord an einem Körpermietmodell wirklich Mord – oder nur Sachbeschädigung?

Die Konsequenzen sind ebenso philosophisch wie politisch. Wer steuert die Technologie? Wer profitiert von ihrer Anwendung? Und wer bleibt außen vor? Hillenbrand sieht durchaus Chancen: „Diese Technologie wird einfach die Kosten rapide senken.“ Bildung, medizinische Versorgung, juristische Hilfe – vieles könnte durch KI globaler und gerechter werden. Doch der Kapitalismus, warnt er, wird auch hier seine Wege finden: „Wenn sie mich nicht mehr brauchen, um den Roman zu schreiben, geben sie mir auch kein Geld, mit dem ich mich an den Strand legen kann.“

Ein Europa der Vernunft?

Während die USA sich zunehmend in politischen Extremismen verlieren und autoritäre Systeme wie China ihre technologische Vorherrschaft ausbauen, bleibt Europa möglicherweise die letzte Bastion der Vernunft. Die Hoffnung: nicht ein Silicon Valley aus Sand, sondern ein forschungsgetriebener Kontinent, der Maß hält – und Maßstäbe setzt. Hillenbrand zeigt sich zuversichtlich: „Die Chinesen sind Despoten, die Amis sind verrückt, aber wir sind reasonable und open for business.“

Doch Optimismus ist nicht Naivität. Die Herausforderungen sind enorm – nicht nur technisch, sondern moralisch. Zwischen Metaverse, Migration und Machtarchitektur steht Europa vor der Frage, wie es sich selbst definieren will: als Teil eines globalen Spiels ohne Regeln oder als Instanz, die neue Regeln vorschlägt. Nicht durch Abschottung, sondern durch Attraktivität. Nicht durch Kontrolle, sondern durch Vertrauen.

Die Frage, wie wir mit Technologien umgehen, die unser Selbstbild erschüttern, ist keine für Übermorgen. Sie ist bereits da – in jedem Klick, jedem Kommentar, jeder automatisierten Entscheidung. Sie entscheidet darüber, ob wir in einer Welt leben, in der Menschen noch einzigartig sind – oder nur noch Instanzen eines Systems, das niemand mehr vollständig versteht.

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Daniel Fürg

Daniel Fürg ist so etwas wie der Barkeeper bei Gin And Talk. Er steht hinter dem Bartresen und führt die Gespräche mit den Gästen.

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