Der Faschismus, so glauben viele, komme wie ein Gewitter: laut, wuchtig, mit einem Donnerschlag, der die Demokratie hinwegfegt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Er schleicht. Er mäandert durch Talkshows, füttert TikTok-Algorithmen und kommt in der Uniform der Bürgerlichkeit daher – als „Vertrauenslehrer“ mit sauberem Scheitel. Er verzichtet auf Springerstiefel, dafür wirkt er eloquent, sachlich, fast vernünftig. Gerade das macht ihn gefährlich.
Was heute als „Meinung“ diskutiert wird, war vor zwanzig Jahren noch rechtsextreme Rhetorik. Der Diskurs hat sich verschoben – nicht abrupt, sondern schleichend, wie das Wasser in einem Kochtopf, in dem der sprichwörtliche Frosch nicht merkt, dass er längst verkocht. „Es gibt keinen Schnipsmoment, und dann ist Faschismus“, sagt der Kabarettist Ingmar Stadelmann. „Es ist ein Prozess, und der ist längst in Gang.“ Wer das ignoriert, verliert nicht nur den gesellschaftlichen Überblick, sondern bald auch die Fähigkeit, das demokratische Fundament gegen seine Feinde zu verteidigen.
Die Macht des Framing – und das Versagen der Politik
Es ist nicht nur die inhaltliche Radikalisierung, die Sorgen macht. Es ist auch das rhetorische Framing, das subtil, aber wirksam wirkt. Rechte Influencer und Parteivertreter verstehen sich auf die Kunst, populistische Phrasen in harmlose Alltagsbilder zu übersetzen. „Wir machen die Straßen wieder sicher“, klingt wie eine selbstverständliche Forderung – bis man erkennt, welche Menschen damit aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden sollen.
Währenddessen verliert die demokratische Mitte ihre Deutungshoheit. „Die AfD weiß, wie Social Media funktioniert. Die anderen Parteien haben das verschlafen“, sagt Stadelmann. „Man kann mit Tauben kein Schach spielen – man muss ihnen vor die Füße scheißen.“ Ein Satz, der grob klingt, aber eine Wahrheit offenbart: Wer immer nur anständig bleibt, verliert gegen diejenigen, die den Diskurs längst zur Waffe gemacht haben. Die Regel: Wer tiefer schlägt, gewinnt schneller. Die Antwort: Es braucht kluge Provokation – und die Bereitschaft, schmutzige Spielzüge zumindest zu erkennen.
Der Osten als Symptom, nicht als Ursache
Viel ist gesagt worden über Ostdeutschland, über Protestwähler, über Identität. Und doch bleibt vieles unausgesprochen. In kaum einem anderen Landsteil ist der autoritäre Reflex so präsent – nicht unbedingt, weil die Menschen rechts sind, sondern weil sie politisch enttäuscht, historisch übersehen und strukturell unterfordert wurden. „Wir haben es versäumt, unsere eigenen Leute über die Grundlagen der Demokratie aufzuklären“, sagt Stadelmann. Stattdessen: Abwertungserfahrungen, wirtschaftliche Brüche, kulturelle Entfremdung. Eine perfekte Bühne für politische Illusionisten.
Die AfD sei im Osten identitätsstiftend geworden, sagt Stadelmann, „sie gibt vielen ein neues Selbstwertgefühl“. Früher war es die PDS, dann die Linke – jetzt ist es die Rechte, die die Projektionsfläche liefert. Doch wer das als „Ossi-Problem“ abtut, macht es sich zu leicht. Denn der Rechtspopulismus ist kein Ostphänomen. Er ist ein Symptom westlicher Demokratien, die sich selbst nicht mehr erklären können.
Ich fühle mich ganz wohl zwischen den Stühlen – als satirischer Chronist dieser Zeit.
Ingmar Stadelmann
In seinem aktuellen Bühnenprogramm „Stadelmann liest Höcke“ stellt sich Ingmar Stadelmann dieser Entwicklung – satirisch, analytisch, aufklärend. Er liest aus dem Buch des thüringischen AfD-Politikers, kommentiert dessen Ideologie und setzt sie in den Kontext gesellschaftlicher Verschiebungen. Was als Lesung beginnt, wird zur politischen Anatomie. „Ich mache das nicht wegen Höcke“, sagt Stadelmann. „Ich mache das wegen der 70 Prozent in diesem Land, die glauben, der Staat sei überfordert.“ Ein Gespräch, das klarmacht: Humor ist längst nicht mehr nur Unterhaltung – er ist politische Aufklärung im besten Sinne.
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