Es beginnt mit einer Sommernacht in Buchloe. Ein Wasserturm, ein paar Sprühdosen aus dem Modefundus der Mutter und der jugendliche Impuls, das eigene Zeichentalent in den öffentlichen Raum zu tragen. Das Bild war vielleicht unbeholfen, das Wort „Graffiti“ voller Rechtschreibfehler – aber der Drang war echt. Und er war der Anfang von etwas Größerem. Der Beginn eines Lebens, das sich der Farbe, der Wand und dem Außergewöhnlichen verschrieben hat. Mathias Köhler, besser bekannt als Loomit, hat sich nie bewusst für die Kunst entschieden. Die Kunst hat sich für ihn entschieden.
Was in einer bayerischen Kleinstadt begann, wurde rasch zu einer Reise um die Welt. Loomit suchte nicht den Ruhm, sondern die Verbindung: zu Orten, Menschen, anderen Künstlern. In New York, Los Angeles, Melbourne oder Mumbai – seine Werke entstanden in Hinterhöfen, auf stillgelegten S-Bahnen, an übersehenen Mauern. „Man musste sich die Szene erarbeiten wie ein Detektiv. Die Leute standen nicht in den Gelben Seiten“, sagt er. Streetart war nicht nur Ausdruck, sondern Entdeckung.
Zwischen Illegalität und Anerkennung
Graffiti war in den 1980er-Jahren ein Delikt. Köhler lernte die Polizei nicht im Atelier kennen, sondern im Verhörraum. Doch selbst dort wurde ihm signalisiert: „Eigentlich ist das, was Sie machen, keine Sachbeschädigung im klassischen Sinne.“ Die Sprühkunst war ein Grenzspiel. Sie war politisch, ungebeten, rebellisch. Und sie war ephemer: „Wenn man nicht fleißig bleibt, wird man vergessen.“
In New York war das, was wir machten, eigentlich schon wieder vorbei – für uns in Europa fing es gerade erst an.
Loomit
Diese Vergänglichkeit begreift Loomit nicht als Verlust, sondern als Antrieb. Die Wand, die übermalt wird, macht Platz für das Neue. Sie ist mehr Prozess als Ergebnis. In vielen Jahrzehnten hat er die Welt gesehen, wie sie sich ändert: die Digitalisierung, die Globalisierung, die Kommerzialisierung. „Früher hatte jede Stadt ihren eigenen Stil. Heute sehen Graffitis in Indonesien aus wie in Finnland.“
Gleichzeitig ist Graffiti ein Spiegel der Gesellschaft geworden. In den Favelas von Rio de Janeiro, den Townships von Kapstadt, den Ghettos von Mumbai malt Loomit, weil er glaubt, dass dort Kunst am meisten gebraucht wird. Nicht für Museen, sondern für den Alltag. „Wer Kultur bringt, wird geschützt“, sagt er über seine Erfahrungen mit Drogenkartellen, die ihm Zugang zu Vierteln verschafften, in die kein Tourist kommt. Der Sprayer als Botschafter, als Mediator, als Chronist.
Die Zukunft in Farbe
Heute lebt Loomit zurückgezogen auf dem Land, lebt ein etwas ruhigeres Leben, unterrichtet Kinder und Jugendliche. Er beobachtet, wie eine Generation heranwächst, die kaum noch soziale Kontakte hat, deren Fantasie an Bildschirmen klebt. „Versuch mal, zwei Stunden keinen Strom zu verbrauchen. Kaum jemand schafft das.“
Was bleibt, ist seine Haltung. Eine, die sich durchzieht wie eine feine Linie im Bild: wach, weltgewandt, unbequem. Er hat nie aufgehört, Fragen zu stellen – an Orte, an Menschen, an Systeme. Und er hat Antworten gefunden, nicht in Theorien, sondern in der Praxis. In Farben, die an Hauswänden haften, bis Wind und Zeit sie weitertragen.
Loomit gehört zu jenen, die nicht aufhören, neue Wege zu suchen, auch wenn sie längst Legendenstatus erreicht haben. Wer ihm zuhört, spürt, wie viel Vergangenheit in der Gegenwart steckt. Und dass Kunst, gerade wenn sie vergeht, umso mehr bewirkt.