Es ist ein paradoxes Versprechen, das sich in den vergangenen Jahren in Deutschland breitgemacht hat: Je lauter die Extreme werden, desto größer scheint die Sehnsucht nach einfachen Antworten. Die politischen Ränder haben entdeckt, wie wirkungsvoll die Mischung aus Angst, Wut und gezielter Desinformation ist. Sie überlagern gesellschaftliche Aushandlungen, verdrängen Fakten und verschieben moralische Leitplanken – Schritt für Schritt, Pixel für Pixel, Kommentar für Kommentar.
Für Musiker wie Joshi, Frontmann der Punkband ZSK, ist diese Entwicklung keine abstrakte Gefahr, sondern ein täglicher Beobachtungsraum. „Ich hätte wirklich nie gedacht, dass wir nochmal eine Situation bekommen, in der eine offen antisemitische, rechtsextreme Partei überall in den Parlamenten sitzt“, sagt er.
Doch Joshi verweigert sich dem Fatalismus. Er beschreibt nicht die eigene Angst, sondern die Notwendigkeit, sie zu überwinden: „Ich habe keine Angst vor Nazis. Aber Nazis haben Angst vor uns.“ Es ist dieser unerschütterliche Grundton, der seine politischen Überzeugungen trägt: Demokratie ist nichts, was man besitzt, sondern etwas, das man verteidigt.
Überforderung, Bots und die Verlockung der einfachen Lügen
Die gesellschaftliche Polarisierung hat viele Ursachen. Joshi spricht von „Wohlstandsverwahrlosung“, einer Mischung aus Anspruchsdenken und Entkoppelung: Wer sich nicht gesehen fühlt, ist empfänglicher für Demagogen, die einfache Feinde anbieten. Hinzu kommt die Geschwindigkeit der digitalen Realität – ein permanenter Störnebel, der Überforderung produziert.
„Im Netz sind wahnsinnig viele russische Bots und rechte Akteure aktiv, die behaupten, sehr komplexe Probleme sehr einfach lösen zu können“, sagt er. Die Folge: Statistiken prallen an Überzeugungen ab, Diskussionen scheitern an der Verweigerung von Realität. Was zählt, ist das Gefühl – nicht der Beweis. Postfaktisches Denken ist längst nicht mehr Randphänomen, sondern strukturelle Kraft.
Es macht mich fertig, wenn Leute sagen: ‚Glaube ich nicht‘ – selbst wenn sie ein Video oder eine Statistik direkt vor Augen haben.
Joshi
Auch die politische Mitte gerät in diesen Strudel. Wenn konservative Stimmen rechte Narrative „in der Light-Version“ kopieren, wie Joshi es nennt, verschiebt sich der Diskurs weiter, ohne dass jene erreicht würden, die längst dem Original verfallen sind. Die demokratische Debattenkultur, so seine Beobachtung, sei weniger hitzig als vielmehr brüchig: „Wenn jemand bei allem sagt: ‚Glaube ich nicht‘, kommen wir nicht weiter.“
Dass diese Entwicklung gefährlich ist, zeigt der Blick in die USA, wo Antifaschismus diffamiert und Protest kriminalisiert wird. Joshi erkennt darin eine Warnung für Europa: Demokratische Institutionen weichen nicht in einem großen Knall, sondern in vielen kleinen Rissen.
Was Kultur leisten kann – und was Eltern leisten müssen
Punkrock ist laut, direkt, politisch – und doch ist es nicht nur die Bühne, auf der gesellschaftliche Haltung entsteht. Für Joshi beginnt politische Bildung früher: Zu Hause, im Alltag, im Gespräch mit Kindern. „Man kann Kindern mehr zutrauen, als viele glauben. Wenn man ihnen Rassismus oder Demokratie an konkreten Beispielen erklärt, verstehen die das“, sagt er.
Seine Kinderkonzerte – inzwischen ein deutschlandweites Phänomen – tragen genau diese Haltung weiter. Bei ZSK gibt es kein weichgespültes Kinderprogramm, sondern ein echtes Punkkonzert für junge Menschen. Viele reagieren zunächst still, fast überwältigt. Doch danach schreiben die Eltern Nachrichten voller Freude: Endlich erleben Kinder eine Bühne, die sie ernst nimmt. Es ist ein niedrigschwelliger Einstieg in eine Welt, die Haltung verlangt, ohne belehrend zu werden.
Und dann ist da die Verantwortung der Kulturszene selbst. Für Joshi braucht es keine Helden, aber Mut: „Wenn 20 große Acts im Jahr dort auftreten würden, wo es schwierig ist – in Bautzen, Grimma, in der Provinz –, würde das wahnsinnig viel Kraft geben.“ Kultur als Stütze der Zivilgesellschaft, nicht als Kulisse.
Eine Gesellschaft, die wieder zuhören muss
Demokratie ist kein Naturgesetz. Sie ist das Ergebnis von Aushandlung, Konflikt und Kompromiss – und sie lebt davon, dass Menschen einander zuhören. Genau dieses Zuhören ist in den letzten Jahren verloren gegangen. Wer Wut mit Wut beantwortet, verstärkt die Spirale. Wer Fakten ignoriert, entzieht sich jeder Verständigung.
Joshi formuliert es als Wunsch: „Ich würde gern mit jedem AfD-Wähler reden. Aber sie müssen bereit sein, Argumente überhaupt zuzulassen. Sonst kommen wir als Gesellschaft nicht mehr voran.“ Es ist ein Satz, der nichts beschönigt – aber eine Tür offen lässt.



