Steffen Kopetzky über Geschichte, Gegenwart und die Bombe

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Steffen Kopetzky

Man kann die Geschichte des 20. Jahrhunderts auch als einen Wettlauf lesen: zwischen Entdeckern und Zerstörern, zwischen Erkenntnis und Macht. Kaum ein technologisches Kapitel verkörpert diese Ambivalenz so sehr wie die Entwicklung der Atombombe. Längst ist die Geschichte der amerikanischen Manhattan-Project-Protagonisten wie Oppenheimer oder Teller erzählt, verfilmt, mythologisiert. Weniger bekannt ist, was im deutschen Schattenreich der Wissenschaft geschah – und wie nah auch hier der Griff zur Weltvernichtungswaffe tatsächlich war.

Nicht nur die bekannte Heisenberg-Gruppe forschte im Auftrag des NS-Regimes. Auch andere Institutionen wie das Heer und die Marine betrieben eigene Programme – teils in Konkurrenz zueinander, teils im Verborgenen. Sogar bei der Reichspost gab es offenbar wissenschaftliche Ambitionen, etwa unter der Leitung des Physikers Manfred von Ardenne. Diese weniger bekannten Facetten wirft Steffen Kopetzky in seinem Roman „Atom“ auf – und damit auch eine drängende Frage: Wie entstehen technologische Durchbrüche, und welche Verantwortung geht mit ihnen einher?

Wissenschaft ohne Ethik – eine offene Flanke

Denn wieder bröckelt die politische Ordnung, wieder erleben wir, wie Erkenntnis missbraucht werden kann. Die Verführungskraft technologischer Macht ist geblieben, nur die Mittel haben sich verfeinert. Heute geht es nicht mehr nur um Uran, sondern um Quantencomputer, künstliche Intelligenz, biotechnologische Systeme – und damit um nichts Geringeres als die Kontrolle über das Morgen.

Was wir heute erleben, erinnert auf beunruhigende Weise an die Welt nach dem Zweiten Weltkrieg – als würde sie gerade neu aufgeteilt.

Steffen Kopetzky

Doch wem gehört die Zukunft? Zunehmend liegt sie in den Händen weniger privater Akteure, von denen nicht alle das Gemeinwohl im Sinn haben. Kopetzky warnt: „Der globale Tech-Kapitalismus und der Fossil-Kapitalismus, die scherzen nicht.“ Verantwortung und Moral drohen zwischen Profitkalkülen und geopolitischer Rivalität unterzugehen. Europa, so seine Überzeugung, müsse sich entscheiden: Zuschauer bleiben – oder zum Gestalter werden.

Dabei liegt die Kraft Europas nicht in militärischer Überlegenheit, sondern in seiner Fähigkeit zur Aufklärung. In einem neuen Bewusstsein, das Ethik und Fortschritt verbindet. „Wir werden das neue Amerika sein, wir werden der neue Kontinent sein, in dem die Geschichte der Aufklärung der Wissenschaft weiter vorangetrieben wird“, sagt Kopetzky. Doch dafür braucht es mehr als gute Absichten. Es braucht eine gemeinsame Idee, eine klare Vision und vor allem: Bildung.

Die Kraft der Zuversicht

„Die Geschichte zeigt, dass große Energie immer auch großen Widerstand erzeugt“, erklärt Kopetzky. Es ist eine dialektische Hoffnung – keine naive, aber eine tief begründete. Dass Europa in der Lage ist, aus seinen Schwächen Stärke zu formen. Dass man aus der Rolle der Beute herauswachsen kann, wenn man beginnt, sich selbst mit Klarheit zu betrachten – nicht als Wohlstandskontinent der Selbstzufriedenheit, sondern als verletzliche, lernfähige Gemeinschaft, die den Willen hat, für ihre Werte zu kämpfen.

Kopetzkys Roman ist dabei mehr als Literatur. Er ist ein Impuls. Für eine Diskussion über Verantwortung und Wissenschaft, über Moral und Macht. Und für die Erkenntnis, dass Geschichte sich nicht einfach wiederholt – aber dass sie uns prüft: auf unsere Fähigkeit, aus ihr zu lernen.

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Daniel Fürg

Daniel Fürg ist so etwas wie der Barkeeper bei Gin And Talk. Er steht hinter dem Bartresen und führt die Gespräche mit den Gästen.

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