Die besten Gerichte entstehen oft nicht in der Routine, sondern im Aufbruch. Wer sich von Gewohntem löst, findet neue Nuancen – in fremden Aromen, in anderen Texturen, in ungewohnten Perspektiven auf Altbekanntes. Julien Royer, gefeierter Drei-Sterne-Koch und einer der prägenden Protagonisten der internationalen Fine-Dining-Szene, lebt diese Erkenntnis mit einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit. Seine Küche verbindet französische Handwerkskunst mit asiatischer Präzision – ohne dabei je zu zerreißen, was zusammengehört.
Was bei Royer auf den Teller kommt, wirkt durchdacht, klar, harmonisch – aber nicht glatt. „Mein Ziel ist der Mittelweg zwischen Tradition, Innovation und Aufregung“, sagt er. Es geht ihm nicht um Effekte, sondern um Tiefe. Um das Zusammenspiel aus Herkunft und Gegenwart. Aus Kindheit und Weltreise.
Die Schule der Aromen
Aufgewachsen in der französischen Auvergne, umgeben von Hügeln, Schweinen, Hühnern und Gemüsebeeten, ist Royer früh geprägt worden von dem, was gute Küche im Kern ausmacht: Sorgfalt. Nähe. Respekt. „Vielleicht hatten wir nicht die coolsten Sneaker in der Schule, aber das, was wir gegessen haben, war besser als bei allen anderen“, erinnert er sich. Was damals Normalität war, erkennt er heute als seltenes Privileg – und als Fundament seiner Kochkunst.
Royer spricht oft von Zutaten, fast zärtlich. Von der Qualität des Tomatenfruchtfleischs. Vom Aroma fermentierter Saucen. Von Texturen, die ein Gericht unvergesslich machen. „Fünfzig Prozent eines guten Kochs sind Kochen. Die anderen fünfzig Prozent sind Einkauf und Sourcing“, sagt er. In seinem Restaurant Odette in Singapur ist eine Person ausschließlich dafür verantwortlich, mit Fischern, Bauern und Züchtern weltweit Kontakt zu halten. Woher der Fisch kommt, wie das Gemüse behandelt wurde – das ist für Royer keine Frage des Marketings, sondern des Anstands.
Und des Genusses. Denn für ihn beginnt kulinarische Exzellenz bei der Auswahl, nicht bei der Zubereitung. Singapur selbst, sagt er, sei ein „Paradox“. Eine Insel ohne nennenswerte Landwirtschaft, aber mit Zugang zu allem. „Du hast nichts – und gleichzeitig alles.“
Mehr als Geschmack
Julien Royer ist kein Prediger der Fusion-Küche. Seine Gerichte sind französisch, ohne sich einzuengen. Asiatisch, ohne sich zu verlieren. Und stets durchdrungen von dem, was man gemeinhin Haltung nennt. Er strebt keine Schockmomente an, sondern das, was bleibt: Erinnerungen.
Wenn du immer nur in deiner eigenen Küche bleibst, wirst du blind. Inspiration kommt von außen – von anderen Menschen, Kulturen, Ideen.
Julien Royer
Dass er drei Michelin-Sterne trägt, auf Bestenlisten weltweit geführt wird, scheint ihn weniger zu beeindrucken als ein einfacher Salat. „Tomatensalat mit Shiso aus dem Garten – perfekt gereift, auf den Punkt gewürzt. Das hat mich umgehauen“, sagt er. Es ist dieser Respekt vor dem Einfachen, der seine Küche auszeichnet.
Auch seine Vorstellung von Erfolg ist geerdet. Preise, sagt er, seien „nur das Sahnehäubchen“. Der wahre Lohn sei, wenn Gäste Zeit, Geld und Vertrauen investieren – und dann ein Essen erleben, das mehr ist als bloße Versorgung. „Wenn du es schaffst, aus einem Abend eine Erinnerung zu machen – dann hast du wirklich etwas erreicht.“
Eine Bewegung, kein Wettbewerb
Was sich in der Spitzengastronomie abzeichnet, ist ein neues Selbstverständnis. Weg vom Konkurrenzdenken, hin zu einer Kultur der Zusammenarbeit. Royer nennt es eine „freundliche Generation“. Er selbst tourte diesen Sommer durch Europa, kochte mit Kolleg:innen in Dänemark, Deutschland, Portugal und Spanien. Nicht um sich zu beweisen – sondern um zu lernen. „Man kehrt immer reicher zurück“, sagt er. Nicht finanziell, sondern menschlich.
Im Austausch mit anderen Köch:innen gehe es nicht um Eitelkeit, sondern um Neugier. Man spreche dieselbe Sprache – auch wenn man aus verschiedenen Ländern komme. Diese Art von weltoffener Gastfreundschaft ist selten geworden in einer Branche, die oft von Druck, Stress und Selbstdarstellung geprägt ist.